Eine bedrückende Zeit: 1982. In Afghanistan dauerte die Sowjet-Invasion an, in der Türkei die mörderische Macht der Militär-Junta, in Deutschland gab es die große Angst vor dem Atomkrieg im Zusammenhang mit der militärischen Aufrüstung Deutschlands. Zu jener Zeit beinflussten die Sozialisation meiner deutsch-türkischen Generation zwei wichtige Ereignisse: Millionen Demonstranten auf den Straßen für Frieden– sowie ein Kinofilm:  

In einem Nürnberger Arthouse-Kino gab es – und das war sensationell! – monatelang Schlangen an der Kasse für: »Yol« (»Der Weg«). Es war das Filmprojekt von Yılmaz Güney und Freunden: Şerif Gören an der Regie sowie viele Schauspiel-Stars. Da waren etwa Tarık Akan und Halil Ergün, dazu die hinreißende Filmmusik von Zülfü Livaneli. Ein Film also, der nicht nur meine Generation aus dem deutsch-türkischen Umfeld tief beeinflusste. Weltweit wies »Yol« einen Weg zu aufrechter Haltung und Engagement, verbunden mit allen Risiken in der Zeit militärischer Willkür.  

Cut! Viele Jahre später stand Mario Adorf als unser Festival-Ehrenpreisträger im Foyer des Nürnberger Rathauses – kurz vor dem Empfang mit dem Oberbürgermeister – und beantwortete die Fragen vom Fernsehkanal »CNN Türk«: Was er von der türkischen Kultur denn kenne, war die erste Frage. Statt der stereotypischen Antwort Kebab & Lokum sagte Adorf: »Aber natürlich, es ist zuallererst der Film YOL!«.  

Cut! Wir saßen im Bayerischen Landtag und hörten Michael Verhoevens Keynote-Speaker-Rede am Kinotag zu. Er berichtete den versammelten Abgeordneten und Kinoexperten unverblümt von drei Geschehnissen, die sein Kinoleben stark beeinflussten: Als erstes die sensationelle Solidarität seiner Regisseur-KollegInnen auf der Berlinale 1971, als der US-amerikanische Jurypräsident Verhoevens Antikriegsfilm über Vietnam »O.K.« aus dem Wettbewerb herausnahm. Mit der Folge, dass alle RegisseurInnen den Wettbewerb verlassen haben: Die Berlinale 1971 brach buchstäblich zusammen! Zwei andere Erfahrungen hatten ihn ebenfalls besonders begeistert: Wie er in  Nürnberg das engagierte Menschenrechtsfilmfestival erlebte. Und schließlich, ebenfalls in Nürnberg, hinterließ die Mitwirkung als Jurypräsident beim  »richtig guten« Filmfestival Türkei Deutschland starke Eindrücke bei ihm!  

Cut! Wir schreiben das Jahr 2023 und sind überglücklich, dass wir zwei international renommierte Regisseure als Ehrenpreisträger dieses Festivals begrüßen dürfen, die unsere Sozialisation, unser Bewusstsein tief beeinflusst haben: Şerif Gören trifft Michael Verhoeven. Einmalig. Wir sind auch sehr froh, dass wir in einer Zeit anhaltender Kriegsstimmung und Spaltungstendenzen in unseren Gesellschaften ein Festivalprogramm mit Filmen von jungen wie etablierten RegisseurInnen zustande gebracht haben, auf das wir ziemlich stolz sind: Das Programm soll Euch Spaß machen, aber vor allem Hoffnung geben auf eine bessere Welt, ohne Autokraten und Kriege, für Menschen mit Menschen voller Humanismus – weit fort von allen Diskriminierungen. Wir danken allen Beteiligten für ihre Beiträge. 

Adil Kaya, Februar 2023